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Die DVR – ein grober Überblick

von Jewhenyj Schibalow, ZN

Die sogenannte “Donezker Volksrepublik” (DVR) ist so voller Widersprüche, dass selbst Experten, die ihr angehören, ratlos sind. Während es allzu optimistisch wäre, zu behaupten, dass dieses Chaos-Unternehmen eine kohärente Strategie habe, kann man doch gewisse Tendenzen erkennen. Hier versuchen wir eine Darstellung der verschiedenen Unterstützergruppen der DVR:

Sowohl russische Geheimdienste und Politiker als auch die Behörden in Donezk und Kyiw haben alle ihre jeweiligen Interessen in der DVR; jedoch ist ein umfassendes Verständnis ihrer Strukturen noch nicht zu erkennen. Ausländische Geheimdienste, Diplomaten und internationale Unterhändler sind besser über die innenpolitische Lage in der DVR informiert als die ukrainischen Geheimdienste oder die ATO-Zentrale, die auf ukrainischer Seite am häufigsten Kontakte mit der DVR beim Austausch von Gefangenen hat. Dies ist eine durchaus unglückliche Situation für die Vorhersage zukünftiger Ereignisse.

Die erste Unterteilung in der DVR geht entlang der Linie der “Politiker” gegen “Militärführer”, wobei Letztere deutlich die Oberhand haben. Die militärischen Einheiten befolgen keine Aufträge. “Die Soldaten ignorieren uns komplett,” beklagt sich ein Vertreter der DVR-Behörden. Aber es gibt viele andere Möglichkeiten, diejenigen in Gruppen einzuteilen, die sich mit der DVR identifizieren.

Weitere Informationen: Anarchie im Donbas: Die russischen Stellvertretergruppen kämpfen gegeneinander

1. Ideologische Unterstützer

Hierzu zählen wir diejenigen, die die DVR von Anfang an unterstützten, wenn auch mit unterschiedlicher Motivation. Die ideologischen Unterstützer verkörpern den gesamten Intellekt der DVR, weshalb sie von den Feldkommandeuren geduldet werden, obwohl sie sie andererseits hassen. Die Kyiwer Behörden führen häufig mit Vertretern dieser Gruppe Verhandlungen. Man kann die ideologischen Unterstützer generell in zwei Kategorien unterteilen: Republikaner und Anti-Kyiwer.

Republikaner

Diese sind seit dem ukrainisch-sowjetischen Krieg von 1917-1921 von der Idee einer unabhängigen Donezker Republik beseelt. Historisch gesehen haben sie relativ wenig Einfluss gehabt, sogar bis zum Zeitpunkt der ersten Unruhen und der Besetzungen von Verwaltungsgebäuden in Donezk im Winter. Doch mit dem Aufkommen einer Perspektive für die DVR – von der Föderalisierung bis zur Autonomie oder sogar einer eigenen Republik – nahm auch ihr Einfluss zu, denn der Kreml brauchte eine ideologische Basis zur Rechtfertigung des Referendums und für die Schaffung einer “Volksmiliz des Donbas”. Die Kontrolle über die Republikaner zu behalten erwies sich jedoch für den Kreml als kompliziert: Obwohl sie die Unterstützung durch Moskau gerne angenommen haben, haben sie sich jedoch immer darum bemüht, unabhängig zu bleiben – oder zumindest autonom.

Aktivitäten: Die Republikaner versuchen das Steuerwesen, Schulen, Universitäten und Krankenhäuser zu kontrollieren, eine neue Währung einzuführen und “Renten” an die Bürger auf dem Land auszuzahlen. Sie waren diejenigen, die die “Wahlen” für ein eigenes DVR-“Parlament” am 3. November vorbereitet haben.

Anführer: Andryj Purgin.

Andryj Purgin, Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der Donezker Volksrepublik
Andryj Purgin, Erster Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates der Donezker Volksrepublik

Purgins Mannschaft ist ihm treu ergeben, denn seine Leute haben die Möglichkeit bekommen, offizielle Ämter in der DVR einzunehmen, und sie haben allen Grund, für den Status der Republik zu kämpfen. Einige Mitglieder werden zwar derzeit nicht für ihre Arbeit bezahlt, haben aber trotzdem ihre Posten nicht verlassen.

“Früher ging ich jeden Tag in ein Bergwerk. Jetzt lebe ich, wie ein Mensch es verdient, zu leben. Ich habe eine Wohnung in der Innenstadt und ein Auto … Und das einzige, was ich dafür tun muss, ist an einer Straßensperre zu stehen,” gesteht einer der “Republikaner”. Offenbar stört es ihn nicht besonders, dass er in einer Wohnung wohnt, die jemand anders gehört, und ein Auto fährt, das von jemand anderem beschlagnahmt wurde.

Anti-Kyiwer

Diese Gruppe lehnt die neuen Behörden in Kyiw kategorisch ab, betrachtet den Maidan als “bewaffneten Putsch”, hält die nach dem Euromaidan gewählte ukrainische Regierung für “illegitim”, und betrachtet ihre Politik als “von Washington und dem IWF aufgezwungen.” Generell sind die “Anti-Kyiwer” bereit, die Frage zu diskutieren, ob der Donbas in der Ukraine verbleiben soll, aber nur unter bestimmten Bedingungen.

Anführer: Oleksyj Hranowskij, Oleksandr Chrjakow und Oleksandr Chodakowskij

Oleksyj Hranowskij, DVR-"Energieminister"
Oleksyj Hranowskij, DVR-“Energieminister”

 

 

Oleksandr Chrjakow, DVR-"Minister für Information und Massenkommunikation"
Oleksandr Chrjakow, DVR-“Minister für Information und Massenkommunikation”
Oleksandr Chodakowskij, Kommandeur des Bataillons Wostok und ehemaliger Angehöriger der Spezialeinheit Alfa.
Oleksandr Chodakowskij, Kommandeur des Bataillons Wostok und ehemaliger Angehöriger der Spezialeinheit Alfa.

Früher gab es noch eine weitere Untergruppe innerhalb dieser Gruppe von ideologischen Unterstützern, eine pro-russische mit dem Ziel, den Donbas an Russland anzugliedern. Diese brach auseinander, nachdem klar wurde, dass Russland den Donbas nicht benötigt, und praktisch alle Mitglieder dieser Gruppe haben seitdem die Region Donezk verlassen.

2. Die Betrogenen

Die betrogene Gruppe ist die zweite, umfangreiche Gruppe in der DVR. Die Menschen in dieser Gruppe fühlen sich ungerecht behandelt und sie unterstützen die DVR, um sich zu rächen oder aus Angst und Frustration. Auch hier kann man in zwei Untergruppen unterteilen: die von den lokalen Behörden Betrogenen und die von der Ukraine Betrogenen.

Von den lokalen Behörden Betrogene

Die Gruppe der von den lokalen Behörden Betrogenen blieb ohne Schutz, als Wiktor Janukowytsch außer Landes floh. Niemand setzte sich für die Menschen ein, die die frühere Partei an der Macht unterstützt hatten. Die Bewohner des Donbas lösten ihre Sorgen auf unterschiedliche Weise – einige Bewohner (darunter Mitglieder Sicherheitskräfte, die ehemals für Janukowytsch gearbeitet hatten) waren zum Beispiel bereit, mit den neuen Behörden zu kooperieren und Umgang zu pflegen.

Anführer: Oleg Dykyj, DVR-“Vizeminister für innere Angelegenheiten”; der oben erwähnte Chodakowskij kann auch dieser Gruppe zugerechnet werden.

Oleg Dykyj, DVR-"Vizeminister für innere Angelegenheiten"
Oleg Dykyj, DVR-“Vizeminister für innere Angelegenheiten”

Von der Ukraine Betrogene

Die Gruppe der von der Ukraine Betrogenen hat eine Vielzahl von Motiven für den Wunsch, in der separatistischen “Republik” zu leben. Zu ihr gehören z.B. die Berkut-Bereitschaftspolizisten, die in Lemberg an Razzien gegen den Euromaidan beteiligt waren und öffentlich in die Knie gezwungen wurden und danach von den Kyiwer Behörden in den Kampf in den Donbas geschickt wurden.

betrayed

Nach ihrer Ankunft im Donbas liefen die Berkut-Truppen wegen ihrer öffentlichen Demütigung zur DVR über. Deserteure aus der ukrainischen Armee gehören auch zu dieser Gruppe; beispielsweise einige Fallschirmjäger aus der 25. Brigade, die sich über ihre Zwangsrekrutierung an die Armee beschwert hatten.

Einwohner des Donbas, denen von den ukrainischen Behörden in wichtigen praktischen Fragen nicht geholfen wurde, Verwandte und Freunde von Zivilisten, die aufgrund von [Artillerie-] Beschuss zu Tode gekommen sind, und Anwohner, die von Soldaten der ukrainischen Bataillone verletzt wurden, muss man auch dieser Gruppe zurechnen.

3. Externe Täter

Die dritte große in der DVR aktive Gruppe besteht aus den Reihen von Beratern in teuren Anzügen mit Diplomen der Moskauer Staatlichen Universität, die aber eher zurückhaltend agieren, wenn sie mit den grob auftretenden ideologischen Unterstützern, “Milizen-Ausbildern” und russischen Armeeeinheiten umgehen müssen. Diese Gruppe wurde gut behandelt, so lange die Aussichten auf einen Beitritt zu Russland noch gut waren, aber nachdem Putin es unterlassen hat, die selbsternannten Staaten anzuerkennen, wurden die lokalen DVR-Anhänger vorsichtig mit den russischen “Gästen” und haben versucht, sie aus den Positionen der lokalen Behörden herauszuhalten.

Wladimir Antjufejew, ehemaliger Sicherheitschef im russisch-kontrollierten Gebiet Transnistrien. Foto: New York Times
Wladimir Antjufejew, ehemaliger Sicherheitschef im russisch-kontrollierten Gebiet Transnistrien. Foto: New York Times

Der letzte Vertreter dieser Gruppe mit einer Position in der DVR-Führung war Wladimir Antjufejew, “ehemaliger” KGB-Agent, der davor die Geheimdienste in Transnistrien befehligte. Er hat inzwischen den Donbas auch verlassen.

Der DVR kann sich nicht gänzlich vom russischen Einfluss freimachen. Russland liefert nicht nur große Mengen von Waffen und Munition (was nicht so entscheidend ist, da die ukrainische Armee beim Rückzug reich gefüllte Waffenlager hinterließ) sondern auch humanitäre Hilfe: Essen, warme Kleidung, Medizin. Ja, im Ernst – vor nicht zu langer Zeit kam in Donezk eine Sendung von Insulin aus Russland an, welches in der DVR kanpp geworden war. Diese russische humanitäre Hilfe hält die Sympathien der Bevölkerung aufrecht.

4. Maraudeure und Banditen

Sie sind diejenigen, die unter allen Umständen weiterhin und bis zum Ende kämpfen werden. Für sie gibt es keinen Weg zurück, nach all den Verbrechen, die sie begangen haben: Folter, Plünderungen, Entführungen. Die allerschlimmsten ortsansässigen Banditen zusammen mit ausländischen “Freiwilligen”, unter denen sich viele Tschetschenen und andere Kaukasier befinden, sind hier versammelt. Sie sind in kleine Einheiten unterteilt und weigern sich, sich irgendjemandem unterzuordnen. Sie sind diejenigen, die von Mannschaften aus anderen DVR-Formationen, die mit der Jagd auf Plünderer beauftragt sind, angegriffen werden.

5. Adrenalin-“Touristen”

Aus der ganzen Welt sind Abenteuerlustige gekommen, um für die DVR zu kämpfen, auch aus relativ wohlhabenden Ländern: Serben, Osseten, Skandinavier, Spanier, Franzosen usw. wurden als DVR-Kämpfer identifiziert.

Der derzeitige DVR-Chef Oleksandr Sachartschenko hat Schwierigkeiten im Umgang mit all diesen Gruppen. Russische Nachrichtenagenturen berichteten, dass er ein Attentat am 30. September überlebt hat. ZN.ua berichtete zuvor, dass Sachartschenkos Auto sich auf der Straße überschlagen hatte, und dass es praktisch unmöglich ist, dass es sich um einen Unfall handelte.

Zusammen mit den oben genannten Gruppen  leben die Menschen vor Ort unter Panik und Apathie. Einige von ihnen haben die Ostukraine verlassen und sich in andere Gebiete begeben, um ihr Leben zu retten. Die Menschen interessiert nicht mehr, wer gewählt wird, sie haben an wichtigere Dinge zu denken: Wie sie ihre Kinder verteidigen und sich vor dem Tod schützen können.

Autor: Jewhenyj Schibalow

Quelle: ZN – englische adaptierte Übersetzung: Euromaidan Press

Übersetzt von Euromaidan Press auf Deutsch

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