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Deutschland und die Desinformationspolitik in der Ukraine-Krise

von Andriy Portnov, opendemocracy.net 24. November 2014

Wenn man sowohl auf das historische als auch das aktuelle Pro-Putin-Segment der deutschen öffentlichen Diskussion schaut, kann man die Zielgruppen und Methoden der russischen Desinformationspolitik identifizieren.

Anfang März stieß ich in der Berliner Innenstadt auf eine Demonstration aus Protest gegen “Neonazis auf dem Maidan”. Ich versuchte mit den dort stehenden Aktivisten zu sprechen, aber sie antworteten auf alle meine Kommentare nur mit der Frage: “Sind Sie Mitglied der faschistischen Partei Swoboda?” Bis zu diesem Zeitpunkt waren mir die Auswirkungen der Putin’schen Propaganda in Deutschland sowie die Tatsache, dass das Thema der Ukraine bald zu einer der wichtigsten Trennlinien innerhalb der deutschen Gesellschaft werden wird, nicht wirklich bewusst. Ich habe die verschiedenen öffentlichen Diskussionen und Debatten verfolgt, vom Bundestag bis zum deutschen Historikertag, vom Literaturfestival Berlin bis zur deutschen Lehrer-Konferenz, und ich bin zu einem besseren Verständnis der Einstellung der Deutschen zur Lage in der Ukraine gelangt, die in der Regel in den deutschen Medien als “Ukraine-Krise” definiert wird. Mit Blick auf das Pro-Putin-Segment der deutschen öffentlichen Diskussion kann man die Zielgruppen und Methoden der russischen Desinformationspolitik sowie die kulturellen Stereotypen, auf denen sie basiert, identifizieren.

Die wichtigsten Putin-freundlichen Überzeugungen:

“Die Verantwortung für die Krise in der Ukraine liegt beim Westen.” Diese Überzeugung beruht auf der Annahme, dass der Westen das Prinzip der Unverletzlichkeit der Grenzen verletzt habe. Man geht davon aus, dass der Westen mit der Unterstützung und der Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo auch das internationale Gleichgewicht durch die Erweiterung der NATO bis an die Grenzen Russlands in Frage gestellt hat. Mit dieser historischen Analogie wird “das Recht auf Selbstbestimmung”, wie es durch das “Referendum” auf der Krim zum Ausdruck gekommen sei, oft mit der Selbstbestimmung des Kosovo gleichgesetzt. Aber zur gleichen Zeit wird die Wahl der Mehrheit der Ukrainer für die europäische Integration so dargestellt, als ob sie von außen aufoktroyiert gewesen wäre (der Vorwurf des “amerikanischen Gelds für den Maidan” wird oft in dieser Hinsicht erhoben). Und der EU vorgeworfen, “unrealistische Erwartungen” in Kyiw geweckt und damit Putin provoziert zu haben. Diese Logik betont in der Regel die Notwendigkeit der Berücksichtigung der legitimen Interessen Russlands im postsowjetischen Raum. Das bedeutet folglich, dass der Konflikt in der Ukraine “nicht gegen Putin, sondern nur zusammen mit Putin” gelöst werden sollte (ein Zitat aus einem Wortbeitrag des pensionierten NATO-Generals Harald Kujat bei einer ARD-Talkshow).

“In der Ukraine haben wir es zu tun mit einem Bürgerkrieg zwischen dem Osten und dem Westen des Landes, der durch den Nationalismus der Kyiwer Post-Maidan-Regierung verursacht wurde.” Dieses Bild basiert auf einer intensiv propagierten Beschreibung der Ukraine als zutiefst gespaltenes Land, wo der pro-europäische und gleichzeitig ultra-nationalistische “Westen” einem pro-russischen oder einfach russischen “Osten” gegenüber steht. Die Ukraine wird hier als gescheiterter Staat porträtiert, der zufällig als Ergebnis des Zusammenbruchs der Sowjetunion ohne eigene historische und kulturelle Daseinsberechtigung entstanden sei. Mit anderen Worten wird die Ukraine nur als Schlachtfeld für die wirklichen Supermächte angesehen. Der Begriff “Bürgerkrieg” hilft auch dabei, die Frage der russischen Intervention herunterzuspielen; und ein Vergleich der Ukraine mit der Tschechoslowakei lässt die Idee einer friedlichen Trennung als wünschenswerte Lösung erscheinen.

Die Ukraine wird nur als Schlachtfeld für die wirklichen Supermächte angesehen.

“Die Russen und die russische Sprache verdienen einen besonderen Schutz in der Ukraine, insbesondere in den Regionen mit einer russischsprachigen Mehrheit der Bevölkerung.” Dieser Satz, der zunächst wie eine vernünftige europäische Idee klingt, erweist sich oft – bei gleichzeitiger Unkenntnis der Sprachensituation in der Ukraine – als Parteinahme für Putins Identifizierung der russischsprachigen Bevölkerung mit Russen und einer damit verbundenen Loyalität gegenüber der Russischen Föderation. Die deutschen, aber auch britische und französische Medien veröffentlichten oft irreführende Karten von “ethnischen Zonen” in der Ukraine, die die situative und soziale Dimension der ukrainischen Zweisprachigkeit übersehen, (mit meist russischsprachigen Städten, darunter Kyiw, und meist ukrainisch-sprechenden Dörfern, auch im äußersten Osten des Landes) und schreibt automatisch der bevorzugten Sprache der alltäglichen Kommunikation eine politische Präferenz und sogar Volkszugehörigkeit zu. Zum Beispiel behauptete am 23. August 2014 der deutsche Vizekanzler Siegmar Gabriel in einem Interview für die Welt am Sonntag , dass die Ukraine ihre territoriale Integrität nur aufrecht erhalten könne, wenn sie eine Föderalisierung der Regionen durchführt, in der die Russen in der Mehrheit sind.”

“Deutschland sollte einen neuen Krieg vermeiden – vor allem, wenn die Gefahr besteht, dass Atomwaffen zum Einsatz kommen.” Die Vermeidung eines Krieges in diesem Fall beinhaltet, Zugeständnisse an Putin zu machen, friedliche Absichten zu zeigen und den Willen, Gespräche zu führen. Diese Logik baut auf der europäischen Kultur des politischen Konsenses auf und übersieht die Tatsache, dass jedes Zeichen von Unentschlossenheit und Schwäche nur neue Angriffe aus dem Kreml provoziert. Es gibt darüber hinaus auch eine Angst vor einem völlig unberechenbaren und chaotischen “Russland ohne Putin”. Sie beeinflussen die Ausrichtung und die Präferenz der deutschen Politik auf die Offenhaltung der Möglichkeit, “Putin das Gesicht wahren zu lassen”, und auf eine Rückkehr zum “Business as usual”. Diese Ausrichtung ignoriert aber auch die Auswirkungen der Kriegspropaganda-Kampagne innerhalb Russlands und die Art der politischen Legitimität Putins, die von einem geopolitischen Sieg zum nächsten gehen muss, um für den Großteil der Bevölkerung akzeptabel zu bleiben.

“Die wirtschaftlichen und historischen Aspekte der deutsch-russischen Zusammenarbeit sollten nicht zugunsten einer obskuren, entfernten und schwachen Ukraine geopfert werden.” Diese Ansicht beruht auf der Überzeugung, dass die Probleme der Ukraine irgendwie lokale sind (siehe die Idee des “Bürgerkriegs” weiter oben) – und somit keine wirkliche Bedrohung für Deutschland bedeuten. Und dennoch wird die Verschlechterung der Beziehungen zu Russland als reale Bedrohung gesehen – wirtschaftlich, militärisch und kulturell. Nach dieser Argumentation erscheint die Ukraine nur wie ein kleines Hindernis für die langanhaltende Suche nach dem gegenseitigen Verständnis und die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland. Eine solche Logik war zum Beispiel in der Haltung der westdeutschen Politiker zur polnischen Solidarność in den 1980er Jahren deutlich erkennbar.

“Die Kritik an der russischen Politik in der Ukraine ist eine neue Form der Russlandfeindlichkeit.” Als ukrainischer Akademiker und Kommentator bin ich ständig versucht, das Gegenteil zu beweisen: Die unkritische Unterstützung oder die Unwilligkeit, die Tatsache der russischen Aggression gegen die Ukraine anzuerkennen, ist eine Art der Russlandfeindlichkeit, denn sie drängt Russland zum wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch und negiert das demokratische Potenzial für seine Entwicklung.

Die oben genannten Überzeugungen sind nicht alleine Produkte der Anstrengungen der Kreml-Propaganda sondern ergeben sich aus einem echten Wunsch, das Worst-Case-Szenario zu verhindern und darüber hinaus Deutschlands nationale Interessen zu wahren. Die Befürworter einer solchen Haltung bilden keine homogene soziale oder politische Gruppe. Unter ihnen sind die Menschen auf der Linken, vor allem Wähler der Partei ‘Die Linke’. Aber das bedeutet nicht, dass die Gesamtheit der deutschen Linken Pro-Putin ist, weil die Grünen die Ukraine enthusiastisch unterstützen. Es gibt auch einige Vertreter der deutschen Wirtschaft, insbesondere diejenigen, die eng mit den russischen Märkten verflochten sind, und es gibt Menschen mit konservativen Ansichten, die oft skeptisch gegenüber einer weiteren Ausweitung der EU sind. Diese Menschen sind politisch in einer neuen rechtsgerichteten politischen Partei vertreten, der ‘Alternative für Deutschland’.

Die deutschen kulturellen Hintergründe der Pro-Putin-Einstellungen

Die deutschen kulturellen Hintergründe der Pro-Putin-Einstellungen sind vielfältig.

Antiamerikanische Gefühle, zum Beispiel, vor allem in linken deutschen Kreisen, die, wie Anna Veronika Wendland darlegt, auf den Imperialismus im Westen verweisen, lassen aber den Imperialismus in der russischen Politik im postsowjetischen Raum völlig außer acht.

Es gibt eine deutsche Nachkriegskultur mit der Ansicht, dass jeder Konflikt gelöst werden kann, wenn alle Seiten genug Kaffee miteinander trinken.

Es gibt eine deutsche Nachkriegskultur des Konsenses und des Pazifismus, die glaubt, dass Verhandlungen immer besser sind als ein Ansatz des Zwangs, dass Frieden nur mit friedlichen Aktionen hergestellt werden kann und dass jeder Konflikt gelöst werden kann, wenn alle Seiten genug Kaffee miteinander trinken. Leider erklärt diese Vorgehensweise nicht, wie man vorgehen sollte, wenn eine der Seiten, vor allem, wenn sie nicht als Aggressor erkannt wird, ihre Versprechen nicht einhält und ständig Gewalt anwendet, um Fakten und Bodengewinne zu schaffen. Solch ein Pazifismus neigt nicht dazu, irgendeine militärische Beteiligung von Russland zu bemerken, und sieht die gezielte Präsentation des Krieges im Donbas als einen gewissermaßen “legitimen Kampf für die Selbstbestimmung” an – so als ob dies in irgendeiner Weise mit den Unabhängigkeitsbewegungen in Kurdistan, Katalonien oder Schottland vergleichbar wäre.

Es gibt ein historisches Klischee von Osteuropa als von politischem Chaos, ethnischem Nationalismus und Antisemitismus geprägtes Gebiet. Putins Propaganda tendiert dazu, das aktuelle Geschehen in der Ukraine gemäß diesem erkennbaren Bild von ‘Osteuropa’ darzustellen, zu dem auch Polen oder die baltischen Staaten gehören, nicht jedoch Russland.

Es gibt eine historische Schuld gegenüber Russland, zu der sich viele Deutsche auf Grund der Greueltaten der Nazis während des Zweiten Weltkriegs verpflichtet fühlen. Im deutschen Massenbewusstsein war der Krieg im Osten – der tatsächlich vor allem in den Gebieten des heutigen Belarus, Polens und der Ukraine stattgefunden hat – ein “Krieg in Russland”. Aber eine deutsche historische Schuld gegenüber der Ukraine, die im 20. Jahrhundert zweimal von deutschen Truppen besetzt wurde (erst im Jahr 1918 und dann erneut von 1941 bis 1944), ist bei der Bewertung der aktuellen Ereignisse praktisch nicht vorhanden.

Schließlich gibt es die Schwäche der kulturellen und historischen Beziehungen mit der Ukraine –  verursacht, neben anderen Faktoren, durch den Mangel an institutionalisierten ukrainischen Studien in Deutschland und nur spärlich vorhandenen ukrainischen Kulturinitiativen im Westen.

Mit Blick auf alles oben Genannte ist die wichtigste Schlussfolgerung, dass die Ukraine für viele Deutsche keine eigene historische und kulturelle Daseinsberechtigung hat und nur als Instrument im Wettbewerb der Großmächte oder unter dem Einfluss von Antiamerikanismus oder Anti-EU-Gefühlen angesehen wird.

Für viele Deutsche hat die Ukraine keine eigene historische und kulturelle Daseinsberechtigung.

“Die Putinversteher”

Die Propaganda des Kreml in Deutschland tendiert eher dazu, eine breite Akzeptanz und Sympathie gegenüber der Politik Putins nicht direkt zu fördern sondern Angst und Verwirrung zu verbreiten. Mit dieser Propaganda wird bezweckt, einen politischen und sozialen Konsens über den Standpunkt Deutschlands gegenüber der Ukraine und damit den Widerstand gegen die russische Intervention zu verhindern. Trotz ihrer Vielfalt könnte die Hauptaufgabe des Pro-Putin-Diskurs in Deutschland in einem Wort zusammengefasst werden: Nichteinmischung. Nach dieser Logik sollte die Ukraine weder eine NATO-Mitgliedschaft in der Zukunft noch westliche Militärhilfe erwarten. Die Aussichten auf eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine kann nur als ferne und vage Möglichkeit erwähnt werden. Gleichzeitig sollten die Sanktionen gegen Russland aufgegeben werden (oder zumindest nicht erweitert), um einen “neuen Kalten Krieg” zu vermeiden. Ein solcher Ansatz gibt aber keine klare Vorstellung von der Zukunft für die Ukraine: Wie könnte sie als “Brücke” zwischen den widerstreitenden Integrationsprojekten (der EU und der eurasischen Wirtschaftsunion) existieren?

“DiePutinversteher” bilden eine heterogene Gruppe von einflussreichen Ex-Politikern (wie die Ex-Kanzler Helmut Schmidt und Gerhard Schröder), sowie Journalisten, Politikexperten, Geschäftsleuten und Personen innerhalb der Bundeswehr. Sie treten besonders häufig in deutschen TV-Talkshows auf und sind in den sozialen Medien aktiv, wo sie jede pro-ukrainischen Veröffentlichung und jeden Kommentar attackieren.

Ungeachtet der Putinversteher scheint es so zu sein, dass es in Deutschland trotz aller Bemühungen ein wachsendes Verständnis dafür gibt, dass Putins Politik eine globale Dimension hat. Immerhin stellt seine Politik alle bestehenden internationalen Institutionen und das gesamte System des Völkerrechts in Frage. In diesem Sinne stellt die Intervention Russlands in der Ukraine und der daraus resultierende globale Informationskrieg eine Reihe von Herausforderungen für die EU dar (vor allem angesichts der komplizierten Entscheidungsprozesse): Wie sollen Demokratien sich gegenüber einer autoritären Atommacht positionieren? Wie kann Pazifismus den Krieg mit einem gewalttätigen Aggressor verhindern? Und wie geht die Meinungsfreiheit mit Desinformation um?

portnovÜber den Autor: Dr. Andriy Portnov ist ein ukrainischer Historiker und Essayist. Derzeit ist er Gastprofessor an der Humboldt-Universität in Berlin.

Quelle: opendemocracy.net 24. November 2014

Übersetzung: Euromaidan Press auf Deutsch

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